In der letzten Sitzung des Bielefelder Stadtrates hat unser Ratsgruppenvorsitzender Dr. Florian Sander zum Antrag der CDU Stellung genommen – und dabei eine unbequeme, aber notwendige Frage gestellt: Warum wird beim Thema Jugendschutz immer wieder einseitig auf Cannabis geschaut, während die Risiken von Alkohol und Nikotin weitgehend ignoriert werden?
„Verehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Kollegen, liebe Gäste!
Das Thema Cannabis wird hier von der CDU mit vielen richtigen Argumenten beackert, aber auch ein Stück weit mit einer gewissen Doppelmoral, die aber bei diesem Thema ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Es ist ja völlig richtig, Kinder und Jugendliche mit ordnungsrechtlichen Mitteln vor den Auswirkungen des Cannabis-Konsums und auch „falschen Vorbildern“ schützen zu wollen. Es hat nur eine ziemlich irrationale Komponente, all diese Maßnahmen, die die CDU im Großen und Ganzen zurecht fordert, lediglich auf Cannabis anwenden zu wollen, nicht jedoch auf Nikotin oder Alkohol.
Es ist gar keine Frage, dass dauerhafter, langjähriger Cannabis-Konsum gesundheitliche Folgen haben kann, etwa neurologischer Art. Cannabis ist damit auf die eine oder andere Weise in einer Liga mit anderen, sogenannten „weichen Drogen“. Nur: Wenn Sie Jugendliche vor den Auswirkungen von Cannabis schützen wollen, wieso dann nicht auch vor denen von Nikotin? Raucherbeine, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Lungenkrebs, Speiseröhrenkrebs, Krebs im Mund- und Rachenraum – Nikotinkonsum hat in dieser Hinsicht vermutlich schwerere Folgen als der von Cannabis, und dennoch hört man dazu wenig. Diese Ungleichbehandlung hat nie jemand glaubwürdig und rational erklären können, außer derart, dass das eine halt irgendwie gesellschaftlich akzeptierter ist als das andere. Vernünftig ist das jedoch nicht.
Stichwort Alkohol: Es gehört zu den Momenten bei Plenarreden im Deutschen Bundestag, in denen ich tatsächlich mal Janine Wissler von der Linken zustimmen musste, als sie beim Cannabis-Thema sinngemäß fragte: „Wem würden Sie nachts in der U-Bahn weniger gern begegnen – einer Gruppe betrunkener Jugendlicher oder einer Gruppe bekiffter Jugendlicher?“. Da traf sie in der Tat mal einen Punkt, denn wir alle hier wissen, welche von beiden Drogen mehr enthemmt und Aggressionen schürt – nämlich Alkohol. Wieso dann jetzt aber Jugendschutz nur als Schutz vor Cannabis verstehen, nicht aber vor Alkohol? Nur weil die Gesellschaft immer noch in dieser Unvernunft verharrt?
Nun ist klar, dass wir von Bielefeld aus nicht die bundesweite Gesetzeslage dazu werden beeinflussen können. Bei den einen Drogen gibt es Abstandsgebote, bei den anderen nicht. Aber, was wir zumindest tun sollten, und eben das fordern wir mit unserem Änderungsantrag, ist, Schüler ebenso wie über Cannabis dann genauso auch über die Risiken von Nikotin und Alkohol aufzuklären, denn die sind bestimmt nicht kleiner, nur weil sie unsinnigerweise gesellschaftlich akzeptierter sind, liebe CDU. Das alles freilich unter der Bedingung, dass es nicht schon längst der Fall ist, denn ich könnte mir gut vorstellen, dass es schon viele Lehrer und Schulen gibt, die diesbezüglich schon von sich aus hier eine gute Aufklärung betreiben.
Ein Zusatz noch: Die ersten beiden Sätze aus dem 4. Absatz Ihres Antrages wollen wir komplett und ersatzlos streichen lassen, dies aber aus grundsätzlichen Erwägungen heraus. Wir finden nicht, dass es dem sozialen Klima in unserer Stadt dienlich ist, da jetzt Möglichkeiten anonymer Meldestellen gegen Kiffer zu schaffen – das begünstigt eine Grundstimmung, die ich ziemlich unsympathisch finde, und die wir in unserer Stadt nicht schüren sollten. Prävention ist wichtiger. Wir alle sollten bei Gesetzesverstößen genau hinschauen und Zivilcourage zeigen, aber da würden mir offen gestanden viele andere Delikte einfallen, bei denen wir solche Einrichtungen, wie Sie sie fordern, viel, viel nötiger hätten.
Besten Dank.“